JAE-SEONG
RYU
Die Leinwand als Fenster
Ein zweites Mal widmen wir Jae-Seong Ryu nun bei uns in der Galerie im Alten Küsterhaus in Meerbusch eine Ausstellung. Die starke Entwicklung in seiner Malerei ist unübersehbar und diese spannenden Veränderungen werden hier deutlich. “Meine Arbeit ist einerseits Realität und andererseits Illusion, zwar flach aber auch räumlich, idell und gleichzeitig materiell, zum einen abstrakt und zum anderen konkret, spontan und doch geplant, sie ist altmodisch aber auch modern,” erzählt Jae-Seong.
So spielen Paradoxa eine große Rolle in seinen Kunstwerken. Die auch allein formal deutlich werden, denn die Leinwand selbst ist eckig und geordnet, während aber die Ölfarbe rund und chaotisch ist. Alle gegensätzlichen Elemente harmonieren und kontrastieren zugleich.
Doch wir treffen nicht nur auf formale Gegensätze und Paradoxa, sondern seine Kunst regt unsere Vorstellungskraft und stößt unsere Gedanken an, was wir denn da genau sehen. Jae-Seong spricht von den Motiven in seinen Arbeiten als seien es Fenster:
“Ich stelle mir die Leinwand als Fenster vor und frage mich, was ich durch dieses Fenster sehe. Durch dieses Fenster sehe ich eine innere Welt. Durch dieses Fenster sehe ich auch, dass Malerei ein Material der Realität ist.”
In den Fenstern die der Künstler erschafft, treffen Geist und Materie aufeinander. “Meine Arbeit spielt mit dem Dazwischen,” erklärt Jae-Seong Ryu.
Die Ausstellung lädt uns ein, das “Dazwischen” von Full und Empty, einer vollen Leere, zu entdecken. Wir sehen Leinwände vor uns, die inspiriert von den Fenstern im Alten Küsterhaus, auf unterschiedlichste Weise selbst Fenster darstellen. Wir schauen auf eine zweidimensionale Fläche, doch erkennen in ihr dreidimensionale Farben und Formen... Wolkenähnlich schweben sie vor unseren Augen und regen unsere Gedanken und Fantasie an: Was erinnern wir? Was sehen wir? Was fühlen wir? Was bewegt uns und warum?
Blicken wir aus den Fenstern links und rechts der Gemälde, so erkennen wir möglicherweise Ähnlichkeiten zwischen den gemalten abstrakten Formen und der Realität draußen auf der Straße. Szenen mit ruhigen Pinselstrichen und sanften Farben hängen an den Wänden in Richtung dem mit Bäumen bewachsenen Vorplatz und Bänken, die zum Verweilen einladen. Konträr hierzu fällt unser Blick auf die Wand zur viel befahrenen Hauptstraße, an der Leinwände mit kontrastreichen Farben und einem dynamischen Pinselduktus hängen... Und während wir hier stehen und Übereinstimmungen zwischen den Gemälden und der Welt außerhalb dieses Raumes suchen, stellt sich uns unweigerlich die Frage wo die Ähnlichkeiten zwischen dem was wir wahrnehmen und unserer eigenen Wirklichkeit liegen? Was liegt zwischen unserer Gedankenwelt und der Realität?
Jae-Seong Ryus Kunstwerke sind Fenster, die uns ermöglichen hinaus in die Welt zu schauen und uns gleichzeitig einen Blick in unser Inneres schenken. Was wir sehen und wahrnehmen liegt allerdings ganz allein bei uns und unserer Vorstellungskraft, unseren Erfahrungen und unserer persönlichen Realität. Niemand anderes nimmt die Dinge so wahr wie wir selbst. Jeder einzelne von uns würde einen leeren Raum, eine leere Leinwand, gänzlich anders gestalten... Jeder von uns füllt die volle Leere mit individuellen Gedankenwolken.
Wir alle sehen eine andere äußere Welt, wenn wir aus dem Fenster schauen, weil wir immer gleichzeitig unsere eigene innere Welt vor Augen haben. Jae-Seongs Arbeiten sind ein Versuch dem Betrachter dieses mit Worten nicht beschreibbare "Dazwischen" beider Welten visuell erfahrbar zu machen.
Kyra Schnurbusch (Art historian)